Gewaltfreie und achtsame Kommunikation
Interview mit Andrea Mergel
Missverständnisse und Streit? Das muss nicht sein. Mit der Methode der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) lernst du, wie du dich selbst verständlicher machst und deine Kommunikationspartner besser verstehst.
Jeder Mensch bringt seinen eigenen Erfahrungshorizont mit. Deshalb passiert es schnell, dass du das eine sagst und das andere meinst. Oder dass du auf Gesagtes ganz anders reagierst, als dein Gesprächspartner beabsichtigte. Warum und wie genau die gewaltfreie Kommunikation Abhilfe schaffen kann, erzählt uns Andrea Mergel im Interview.
Fragen an die Expertin
Andrea Mergel im Interview
Andrea Mergel coacht seit 2011 Menschen unter anderem im Bereich Konfliktmanagement sowie achtsame und gewaltfreie Kommunikation. Sie gibt Coachings und Seminare in Köln.
Im powerful:me-Interview spreche ich mit Andrea Mergel unter anderem darüber, wie sie zu ihrer Arbeit als Coach gekommen ist, was sie an der GfK fasziniert und warum Achtsamkeit in der Kommunikation eine so große Rolle spielt.
Frau Mergel, was fasziniert Sie an der “Gewaltfreien Kommunikation”?
A.M.: Mich fasziniert an der Gewaltfreien Kommunikation, dass es ein einfach nachvollziehbares „Rezept“ gibt, die sogenannten vier Schritte, mit denen Kommunikation ganz konkret und schrittweise reflektiert und geübt werden kann. Das macht das Erlernen und Anwenden nachvollziehbar. Weiterhin begeistert mich, dass der ganze Prozess von Kommunikation ins Visier genommen wird: Ich äußere mich, andere äußern sich und ich interpretiere die Äußerung. Und andere interpretieren meine Äußerung.
Es gibt kein Richtig oder Falsch, nur ein: „Wir sind unterschiedlich und versuchen unser Bestes.“
A.M.: Um dieses „Beste“ doch noch verstehen zu können, stehen in der GfK Bedürfnisse im Zentrum der Kommunikation und Reflektion. Als ich die Bedürfnisse kennenlernte, war das sofort sehr erhellend für mich, weil mir immer die Worte gefehlt haben, wenn ich missverstandene Kommunikation für die beiden Gesprächspartner übersetzen wollte.
Nun hatte ich Worte an der Hand für das, was ich bei Gesprächen verstanden hatte.
Ich hatte viel Streit, Konflikte jeder Eskalationsstufe oder einfach nur Missverständnisse in meiner und der Kommunikation in meinem Umfeld beobachtet. Es erschien mir deshalb höchst sinnvoll, die oben beschriebenen positiven Aspekte anderen Menschen näher zu bringen.
Da sich meine Art der Reflektion und Kommunikation stark zum Positiven verändert hat, wollte ich diese Möglichkeiten anderen Menschen auch bereitstellen. (A.M.)
A.M.: Ich weiß inzwischen viel besser, was ich gerade will und brauche, kann dies viel verständlicher in Worte fassen bzw. entsprechend für mich sorgen und bin deshalb viel ausgeglichener.
Ich gerate nur noch ganz selten in eine Hilflosigkeit, wenn ich nicht verstanden werde oder nicht die passende Unterstützung bekomme.
Außerdem haben meine emotionsgeladenen Konflikte und Missverständnisse stark abgenommen, weil ich Dinge entspannter, zu früheren Zeitpunkten, auf eine verständlichere Weise klären kann. Ich nehme Gesagtes weniger persönlich. Ich kann die meiste Zeit differenzieren zwischen der anderen Person, dem Gesagten und was damit gemeint sein könnte.
Ich weiß nun, dass laute Worte oder Ähnliches mehr über die andere Person preisgeben, als dass sie mit mir zu tun haben. Mein Leben ist dadurch entspannter und gleichzeitig lebendiger – das möchte ich durch Coaching und Seminare auch anderen Menschen ermöglichen.
Sie bieten eine Einführung in die gewaltfreie Kommunikation an, was lernen die Teilnehmer in diesem Seminar?
A.M.: Bei der Einführung in die GfK lernen die Teilnehmer zuerst, wie unser Gehirn und Körper funktionieren in Bezug auf Kommunikation und Wahrnehmung mit der Umwelt. Sie lernen, wie unser Gehirn die Gefühle beeinflusst und damit auch unsere Kommunikation.
Sie lernen, wie Sie mit Hilfe der vier Schritte sich selbst reflektieren und dann verständlicher ausdrücken können, um so Missverständnissen vorzubeugen.
Anschließend üben sie, wie sie andere Menschen besser verstehen können, um Konflikte, Streits und Missverständnisse zu lösen oder ihnen vorbeugen zu können.
Die vier Schritte gewaltfreier Kommunikation nach Rosenberg:
powerful:me: Hier die Schritte grob zusammengefasst. Eine detallierte Darstellung mit Beispielen findest du in unserem Artikel Gewaltfreie Kommunikation:
- Beobachtung: Situationen/ Gegenüber wahrnehmen ohne zu bewerten
- Gefühl: Was empfinde ich, ohne Wertung meiner Gefühle?
- Bedürfnis: Welche Bedürfnisse liegen meinen Gefühlen zugrunde?
- Bitte: Wie kann ich diese Bedürfnisse in einer Bitte äußern?
Aus Ihrer Erfahrung über die Jahre: Ist das Thema gewaltfrei kommunizieren im Augenblick besonders gefragt?
A.M.: Ich beobachte über die Jahre ein steigendes Interesse an GfK. Als ich 2010 GfK kennenlernte, gab es weniger Literatur, weniger Seminare, weniger Artikel in populären Zeitschriften. Und entsprechend weniger Menschen, die in der GfK eine Chance gesehen haben, Kommunikation und den Umgang miteinander zu verändern. Seit 2011 gebe ich die GfK selbst weiter.
Die Teilnehmer haben seitdem die gleichen Probleme und Wünsche an das Miteinander und die Kommunikation im Berufs-, Familien- bzw. Alltagsleben.
Der Fokus in der Gesellschaft und in den Medien hat sich mehr in Richtung Achtsamkeit, respektvoller Umgang und Kommunikation hingewendet. Mehr Menschen besuchen nun Seminare zur GfK, weil sie mehr darüber informiert werden.
Anwendungsbeispiele für die gewaltfreie Kommunikation
powerful:me: Wenn ich selbst die Prinzipien gewaltfreier Kommunikation beherrsche, heißt das leider nicht, dass sich auch meine Mitmenschen daran halten. Was sind Ihre Tipps für mehr Gelassenheit, wenn uns Unrecht begegnet oder der Ton in Auseinandersetzungen doch mal schärfer wird?
A.M.: Mich selbst hat unglaublich beruhigt und viel gelassener gemacht, dass ich nun wirklich weiß, dass Worte, Gesten, Mimik, Stimme mehr mit dem inneren Zustand der anderen Person zu tun haben, als mit mir selbst. Viele meiner Teilnehmenden berichten denselben Effekt. Hier zwei Tipps:
1. Denken Sie: „Ach, die Person ist ganz schön in Not, sonst könnte sie sich viel ruhiger und verständlicher ausdrücken.“
Sprache und Worte sind nur eine Krücke, um irgendwie der Welt versuchsweise verständlich zu machen, was im Inneren eines Menschen vor sich geht.
Wenn es gut läuft, treffen wir auf Menschen, die zufällig eine ähnliche Interpretation von Worten nutzen. Wenn es schlecht läuft, haben wir ganz unterschiedliche innere Bilder bei denselben Worten und missverstehen uns vollkommen.
2. Trauen Sie Ihrer eigenen Interpretation nicht
Bevor Sie wissen, wie Ihr Gegenüber die Worte meint, gibt es demnach kein Unrecht. Fragen Sie nach, schildern Sie, wie Sie die Worte verstanden haben, und ob das so gemeint war. Bleiben Sie dran, bis Sie wirklich verstanden haben, worum es geht.
Achtsam kommunizieren, was bedeutet das und wie kann ich das üben?
A.M.: Achtsamkeit bedeutet Aufmerksamkeit schenken und richten. Unser Alltag ist schnell, voll, und Situationen folgen in hohem Tempo aufeinander. Schnell reagieren, schnell antworten, Entscheidungen treffen, Meinungen äußern – das setzt unter Druck und lässt wenig Zeit zur Reflektion. Aber gerade Letztere ist sehr wichtig, wenn es um achtsame Kommunikation geht.
Kurz innehalten, die Aufmerksamkeit nach innen richten. Klären was los ist, was jetzt von Nöten ist, was gut so ist und was das an Wunsch nach außen bedeutet. Erst dann reden.
Das dauert mit ein wenig Übung 30 Sekunden. Vielleicht hilft der Hinweis „Lassen Sie mich bitte kurz Zeit nehmen für eine Antwort – wenn Sie jetzt nicht warten wollen, dann komme ich später auf Sie zu“ oder Ähnliches. So hat die andere Person Orientierung.
Wenn Sie für sich einigermaßen geklärt haben:
- Welche Emotionen in Ihnen präsent sind und …
- auf welche Bedürfnisse diese Emotionen hinweisen möchten, können Sie …
- eine möglichst passende Strategie und Handlung entwickeln, welche diese Bedürfnisse erfüllen könnte.
Gerade in Zeiten mit hoher Frequenz oder mit kritischen Fragen oder Rückmeldungen, neigen wir manchmal dazu, zu hart ins Gericht zu gehen. Gerne mit uns selbst.
Achtsam mit sich selbst zu kommunizieren bedeutet, freundlich und wohlwollend mit sich selbst zu sein. (A.M.)
A.M.: Zu fragen: „Wie geht es mir jetzt, was brauche ich jetzt?“ Mit sich selbst so freundlich umzugehen, wie ich versuche stets mit anderen Menschen umzugehen. Dazu eine Übung.
Nehmen Sie sich viermal täglich eine Minute Zeit, um kurz zu reflektieren:
- Wie geht es mir gerade?
- Was brauche ich jetzt, damit es mir gut oder noch besser geht?
- Wie habe ich innerlich die letzten drei Stunden mit mir gesprochen? Wie waren meine Stimmlage, meine Worte? Waren sie so, wie ich mir von anderen Menschen wünsche, angesprochen zu werden?
- Was möchte ich ändern oder beibehalten an meiner inneren Stimme? Was möchte ich feiern, weil es gut oder besser gelaufen ist?
Hat meine innere Kommunikation Auswirkungen auf meine Kommunikation mit anderen?
A.M.: Ändert sich mein innerer Umgang mit mir selbst, ändert sich in der Regel auch der Umgang im Äußeren. Üben Sie regelmäßig herauszufinden, welche Emotionen und Bedürfnisse Sie haben, schulen Sie gleichzeitig auch Ihre Vorstellungskraft und Empathie für andere Menschen.
Denn Emotionen und Bedürfnisse teilen alle Menschen.
Meistens nicht zum selben Zeitpunkt, aber grundsätzlich schon. Jeder kennt das Gefühl von Hunger und braucht Nahrung. Jeder kennt Traurigkeit und das Bedürfnis nach Geborgenheit. Allen Menschen gemein sind Emotionen und Bedürfnisse. Das bedeutet für eine achtsame Kommunikation mit anderen Menschen, die Gemeinsamkeiten zu klären, also die Emotionen und Bedürfnisse.
A.M.: Denn meistens sind es nur die Strategien und Handlungen, die uns trennen. Erklären Sie also, was Sie fühlen und welche Bedürfnisse Sie befriedigen möchten, bevor Sie einen Vorschlag zu einer Handlung unterbreiten. So versteht Ihr Gegenüber besser, wieso Sie diesen Vorschlag machen.
Genauso versuchen Sie zu verstehen, welche Gefühle und Bedürfnisse Ihr gegenüber hat, die ihn zur gerade gehörten Handlung und Strategie führen.
Wenn Ihnen diese nämlich nicht gefällt, können Sie viel passendere Vorschläge machen, wenn Sie verstanden haben, worum es tatsächlich geht.
Übung:
Reflektieren Sie viermal täglich eine beliebige Situation mit anderen Menschen. Überlegen Sie, wie diese Menschen sich gefühlt haben könnten und welche Bedürfnisse vielleicht erfüllt oder unerfüllt waren. Ergibt sich die Möglichkeit durch ein Gespräch die Überlegungen zu prüfen, ist das sehr hilfreich für die weitere Entwicklung von Achtsamkeit und achtsamer Kommunikation. In der Regel ergeben sich auch ganz wunderbare, verbindende Gespräche aus diesen Nachfragen. Oder es klären sich sogar Missverständnisse und Konflikte.
Handypause
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Anti-Stress-Tipps
powerful:me: Was sind Ihre persönlichen Anti-Stress-Tipps, die Sie durch turbulente Phasen retten?
A.M.: 1. Ich stelle mir die folgenden Fragen:
1. Ist das wirklich wichtig?
2. Ist das wirklich notwendig?
3. Wie geht es mir jetzt gerade und wie möchte ich mich lieber fühlen?
4. Was brauche ich jetzt gerade und wie kann ich es mir leicht und einfach im Kleinen erfüllen?
2. Außerdem:
5. Angenehme, private Termine in den Kalender eintragen.
6. Jeden Morgen kurz reflektieren: Was ist gestern gut gelaufen und was wünsche ich mir heute, dass gut laufen soll (Parkplatz auf Anhieb finden? Sonnenschein in den knappen Minuten der Pause? Etc.).
7. 30 Minuten langsam ein gutes Essen genießen, die einzelnen Geschmäcker versuchen herauszufinden, langsam kauen und die Veränderungen des Bissens wahrnehmen.
8. So oft wie möglich zu Fuß gehen – das entschleunigt und bringt mich doch dem Ziel näher.
powerful:me: Lieben Dank für das Interview, Frau Mergel!
(Bildnachweis: Andrea Mergel © Barbara Bechtloff)
Lisa
ist viel draußen | sieht die Welt optimistisch | lernt gern Menschen kennen
Schreib uns: info@powerful-me.de
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