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Umgang mit Veränderung

Change Management: Veränderungsprozesse erfolgreich steuern

Mit Change Management lassen sich anstehende Veränderungen in einem Unternehmen erfolgreich umsetzen und verankern. Wichtig sind dabei Transparenz und Kommunikation innerhalb des Unternehmens, damit bei den Mitarbeitern möglichst keine Zweifel und Unsicherheiten entstehen. Wir erklären dir, worauf es beim Veränderungsmanagement ankommt.

Weiter unten findet ihr Auszüge aus dem Interview, das wir mit Judith Peters zum Thema “Change Management” und “Facilitation” geführt haben. 

Was ist Change Management?

In einem Unternehmen sind Veränderungen normal. Sie lassen sich nicht aufhalten oder verhindern, aber sie lassen sich kontrollieren bzw. managen – und genau darum geht es beim Change Management. Per Definition beschreibt das Change Management also die Planung und Steuerung (das Management) von sämtlichen Veränderungsprozessen in einem Unternehmen. Das Ziel ist es, die Prozesse strategisch, kontrolliert und wirkungsvoll umzusetzen.

Damit das funktioniert, ist es unerlässlich, den Ist-Zustand stetig zu kontrollieren und auf Veränderungen rechtzeitig mit entsprechenden Maßnahmen zu reagieren. Zusammengefasst bedeutet das: Das Change Management bzw. Veränderungsmanagement umfasst alle Maßnahmen, Prozesse, Aufgaben und Tätigkeiten, die zur Umsetzung von Veränderungen beitragen.

Was macht Veränderungen in Unternehmen so schwierig?

Da die Märkte in den meisten Branchen schnell wachsen und sich fortlaufend verändern, sind Firmen dazu gezwungen, sich innerhalb kurzer Zeit an neue Bedingungen anzupassen. Neue Abteilungen, neue Mitarbeiter oder Umverteilungen im Team – das sind nur einige von vielen möglichen Veränderungen, die in diesem Zusammenhang erforderlich sein können. Allerdings werden solche Prozesse nicht von allen betroffenen Mitarbeitern positiv auf- oder angenommen.

Laut dem Harvard Professor John P. Kotter, der im Bereich des Change Managements bekannt geworden ist, scheitern insgesamt etwa 70 Prozent der Veränderungsprozesse. Die häufigsten Gründe: Widerstand bei den Mitarbeitern und der Rückfall in alte Muster und Verhaltensweisen.

Es ist also nicht nur wichtig, Veränderungen umzusetzen, sondern diese auch den Mitarbeitern zu kommunizieren und schmackhaft zu machen. Außerdem müssen Unternehmen sich vor Augen führen, dass Change Management ein fortlaufender, dynamischer Prozess ist und kein Projekt, das sich „abschließen“ lässt.

Mit dem Change Management lassen sich Veränderungen in Unternehmen erfolgreich steuern und langfristig verankern.

Die acht Phasen des Change Managements

Damit Veränderungsprozesse nicht von Beginn an scheitern, entwickelte John P. Kotter ein Stufenmodell, das acht Phasen definiert, die für ein erfolgreiches Change Management unabdingbar sind.

1. Bewusstsein für Dringlichkeit

Bevor Veränderungsprozesse in die Wege geleitet werden, muss innerhalb des Unternehmens ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass und warum ein Wandel erforderlich ist. Als Change Manager benötigst du hier gute und klare Argumente, um die nötigen Veränderungen zu beleuchten. Betone dabei auch Worst-Case-Szenarien, die eintreten können, wenn das Unternehmen nicht auf die aktuelle Marktsituation reagiert und keine Change-Prozesse stattfinden.

2. Team aufbauen

Change Management sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wichtig ist ein eingespieltes Führungsteam, in dem die einzelnen Mitglieder miteinander vertraut und alle essenziellen Kompetenzen vertreten sind. So ist sichergestellt, dass das Team gemeinsam und effizient daran arbeitet, erfolgreiche Veränderungen innerhalb des Unternehmens zu erzielen.

3. Strategie entwickeln

Jeder Change-Prozess bedarf einer durchdachten Strategie. Welche Veränderungen soll es geben? Was ist das langfristige, übergeordnete Ziel? Ist dieses Ziel definiert, wird es insgesamt einfacher, darauf hinzuarbeiten und zielführende Strategien zu entwickeln.

4. Vision kommunizieren

Mitarbeiter von Veränderungen zu überzeugen, ist nicht immer leicht. Wichtig sind dabei jedoch Kommunikation und Transparenz. Visionen und Strategien sollten im Rahmen des Change Managements klar und kontinuierlich an Mitarbeiter kommuniziert werden, damit diese eine Vorstellung davon haben, was im Unternehmen passiert.

5. Mitarbeiter befähigen

Was muss getan werden, damit Mitarbeiter und das Kernteam in der Lage sind, Veränderungen umzusetzen? Welche Kompetenzen sind notwendig? Sinnvoll sind in dieser Phase zum Beispiel Weiterbildungen und Schulungen, um den Mitarbeitern das nötige Know-how zu vermitteln. Gleichzeitig sollten dabei alte Prozesse hinterfragt und überarbeitet werden.

6. Erfolge sichtbar machen

Veränderungen sind für Mitarbeiter oft schwer anzunehmen, weil sie groß und abschreckend wirken – insbesondere dann, wenn es zu Beginn der Change-Prozesse nur schleppend vorangeht. In diesem Fall ist es wichtig, kleinere Zwischenziele und Meilensteine zu bestimmen und das Erreichen ebendieser sichtbar zu machen. Die kleinen Erfolge tragen maßgeblich dazu bei, dass Mitarbeiter motivierter sind und das Change Management stärker vorantreiben.

7. Veränderungen antreiben

Auch wenn bereits erste Erfolge erzielt und Veränderungen umgesetzt wurden, ist es wichtig, die Change Prozesse weiterhin zu verfolgen. Hier gilt es, weiterzudenken und neue Veränderungen anzuregen.

8. Veränderungen verankern

Veränderungen sind ein langfristiger Prozess – genau deswegen sollte diese Phase nicht unterschätzt werden. Viele Unternehmen machen den Fehler und ruhen sich auf den ersten Erfolgen aus, sodass Mitarbeiter schnell wieder in alte Muster verfallen. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Veränderungen fest und nachhaltig in der Unternehmensphilosophie zu verankern.

Methoden und Maßnahmen des Veränderungsmanagements

In dem Stufenmodell wird bereits deutlich, dass erfolgreiches Change Management sich vor allem durch eines auszeichnet: Kommunikation. Da Mitarbeiter die Entscheidungen von Führungskräften nicht immer nachvollziehen können, müssen alle Abteilungen des Unternehmens miteinbezogen werden – frühzeitig, transparent und vor allem regelmäßig. Grundsätzlich gibt es verschiedene Wege und Methoden, um Informationen zu vermitteln. Doch nicht alle sind gleichermaßen für jedes Unternehmen geeignet. Vielmehr hängt es von der Information und deren Bedeutung ab, welcher Kanal am besten geeignet ist.

Mögliche Kommunikationswege im Change Management

  • Schwarzes Brett
  • Unternehmenszeitung
  • Workshops, Schulungen und Fortbildungen
  • Meetings
  • Betriebsversammlungen
  • Video- und Telefonkonferenzen
  • Firmeninterner Newsletter
  • E-Mails
  • Einzelgespräche
  • Coachings
  • Intranet
  • Teambuilding-Maßnahmen

Tipps für ein erfolgreiches Change Management

Bist du in deinem Unternehmen am Change Management beteiligt, gibt es einige Maßnahmen, mit denen du Veränderungen erfolgreich umsetzen und verankern kannst. Unsere Tipps haben wir hier für dich zusammengefasst.

1. Transparenz

Beim Veränderungsmanagement ist Transparenz das A und O – das gilt für die gesamten Change- Prozesse und Maßnahmen. Achte darauf, dass Neuigkeiten stets an alle Mitarbeiter und Abteilungen weitergegeben werden. Werden Informationen nicht kommuniziert, weckt das bei Mitarbeitern schnell den Eindruck, dass die Führungskräfte etwas vertuschen oder verschweigen möchten. Das wiederum sorgt schnell für Verunsicherung innerhalb der Firma.

2. Kommunikation und Reaktion

Zunächst ist es wichtig, alle Schritte im Unternehmen zu kommunizieren. Damit ist es aber noch nicht getan! Neben der reinen Vermittlung von Informationen müssen Entscheidungen den Mitarbeitern gegenüber nachvollziehbar begründet werden. Berücksichtige auch die Reaktionen der Angestellten: Frage nach ihren Ansichten, Meinungen sowie Sorgen und gehe auf diese ein.

3. Mitarbeiter einbeziehen

Die Mitarbeiter wollen an die Hand genommen und miteinbezogen werden. Hier ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten, welche Parteien von möglichen Veränderungen betroffen sind. Versuche, dich möglichst in alle Perspektiven hineinzuversetzen, um Erwartungen und Reaktionen nachvollziehen sowie Bedürfnisse erfüllen zu können. Hole dir von den einzelnen Gruppen Anregungen und Meinungen ein, um die Change-Prozesse passgenauer zu gestalten.

4. Umsetzungsplan

Beim Change Management ist es wichtig, eine Strategie vor Augen zu haben. Dabei hilft ein Umsetzungsplan, in dem die Ziele und die einzelnen Schritte genau definiert werden. Ein solcher Plan sollte als einer der ersten Schritte erstellt werden – noch bevor die Strategie an die Mitarbeiter weitergegeben wird. Ansonsten entsteht womöglich der Eindruck, dass Führungskräfte bzw. Change Manager nicht wissen, was sie tun.

5. Hinter den Veränderungen stehen

Wenn die Mitarbeiter sehen, dass Führungskräfte und Change Manager an die angekündigten Veränderungen glauben, verringern sich die Ängste und Unsicherheiten automatisch. Achte deswegen auf sichere, aktive und selbstbewusste Formulierungen, wenn du mit Angestellten kommunizierst. Strahle in der internen Kommunikation aus, dass du an die Maßnahmen glaubst und vollkommen hinter den getroffenen Entscheidungen stehst.

Interview mit Judith Peters über Facilitation und Change Management

In unserem Podcast haben wir in Folge 3 mit Judith Peters über Facilitation und Change Management gesprochen. Judith arbeitet als Facilitator und Coach in Köln. In ihrem Beruf hilft sie Menschen innerhalb von Unternehmen, gemeinsame Ziele zu definieren, zu verstehen und zu erreichen. Wie sie unseren Artikel zum Change Management ergänzen konnte, möchten wir euch natürlich nicht vorenthalten.

Die Fragen und Antworten haben wir zum Teil sprachlich leicht angepasst und gekürzt, ohne dabei aber die Aussagen zu verfälschen. Das vollständige Interview könnt ihr in unserem Podcast nachhören.

Was ist Change Management für dich und wie bist du damit bisher in Berührung gekommen?

Change Management ist für mich das Gegenteil von Kontrollieren und Steuern. Das steckt ja so ein bisschen in dem Wort „Management“ drin, dass ich etwas kontrollieren und steuern möchte und dass ich denke, dass ich das tun kann.

Ich finde das total spannend, wenn man sich anguckt, woher das Wort „Management“ kommt. Der Begriff kommt nämlich ursprünglich aus einem völlig anderen Kontext als wir ihn heute kennen. Er kommt von „Manege“, von dem italienischen „maneggiare“, was „handhaben“ bedeutet. 1870, glaube ich, waren die ersten Manager Absolventen einer Zirkusschule. Das heißt, die kommen eigentlich aus dem Zirkuskontext, aus einer Zirkusdirektorenschule. Da kann man ein bisschen drüber lachen, wenn man sich überlegt, was Manager in betrieblichen Kontexten tun: im Wesentlichen das Dressieren von Menschen. Menschen hinzubringen, etwas zu tun, was sie aus freien Stücken nicht tun würden.

Und da sind wir ja beim Change Management in der landläufigen Definition davon, dass wir im Unternehmen irgendwas verändern wollen oder verändern müssen. Weil sich die Märkte verändern, weil die Konkurrenz sich verändert hat, weil die Kundenanforderung sich verändert hat, weil die Digitalisierung wahnsinnig schnell voranschreitet. Und dieser Gedanke von „Ich sorg jetzt mal dafür, dass andere Menschen sich verändern“, der funktioniert in meinen Augen nicht. Ich kann niemanden transformieren, der sich nicht verändern möchte. Und deswegen ist Change Management für mich so ein Widerspruch in sich, weil ich diese Veränderung, weil ich Menschen nicht kontrollieren kann. Ich kann deren Handeln nicht kontrollieren.

Aber was tun, wenn äußere Umstände, Wirtschaftslage oder Umstände im Unternehmen das erfordern? Dass sich Menschen ändern, dass sich Prozesse ändern?

Die Welt, in der wir jetzt grade leben, kann schön mit dem Akronym VUCA beschrieben werden. VUCA steht für volatil, unsicher, komplex und Ambiguität. Das heißt, wir sind in einer Welt, in der es keine 5-Jahres- oder 10-Jahrespläne mehr gibt, so wie wir das noch aus den 60ern oder so kennen. Wo wir denken, dass das alles linear stattfindet. Es ist viel weniger planbar geworden, die Anforderungen sind viel komplexer geworden. Das heißt, Unternehmen stehen unter einem riesen-großen Druck, sich verändern zu müssen, um in dieser Welt bestehen zu können.

Und globale Geschichten kommen noch mal dazu. Dass Rohstoffe zur Neige gehen, dass wir riesengroße Veränderungswellen vor uns haben, die uns dazu zwingen, uns verändern zu müssen. Das ist kein „ob“ mehr, sondern es ist ein ganz sicheres und klares „Ja“, dass Unternehmen sich verändern müssen.
Und was kann man tun, wenn man nicht mehr kontrollieren und steuern kann? Und wenn man das verstanden hat? Dann kann man einen anderen Ansatz nehmen und der nennt sich Facilitation. Da geht’s im Wesentlichen darum, das Potenzial und die Weisheit einer Gruppe zu Tage zu fördern. Das heißt, als Facilitator gehe ich in ein System und begleite da Veränderungsprozesse mit einer Haltung, die davon ausgeht, dass das Wissen schon da ist. Im System oder in der Welt.

Vielleicht muss man auch außerhalb des Systems suchen. Und ich gehe mit einer Haltung rein, dass ich davon überzeugt bin, dass Menschen etwas Sinnvolles tun wollen. Stellt sich dann die Frage nach dem „Warum brauch ich denn diese Veränderung?“, muss man das verstehen als Betroffener, warum ich mich verändern muss oder warum das angesagt ist. Ich gehe als Facilitator auch davon aus, dass jeder jederzeit sein Bestes gibt. Ob ich das jetzt gut finde, was derjenige gemacht hat oder nicht, das steht erstmal auf einem anderen Blatt.

Damit eröffne ich einen völlig anderen Raum für Veränderung und Transformation und muss mit dem Menschen anders umgehen. Ich muss die zu einem möglichst frühen Zeitpunkt hören und das Gesamtbild mit dem Betroffenen erkunden können. Und das schaffe ich eben über andere Formate und Interventionen als über „oben überlegt sich jemand, wie es sein soll“. Und weil wir in so einer wahnsinnig komplexen Welt leben, ist es total wichtig, dass wir den Wahrnehmungskörper vergrößern, der wahrnimmt, was da gerade ist. Und dann, wenn ich genug Informationen gesammelt habe, die zu diesem Zeitpunkt beste Entscheidung treffen.

Das erfordert aber auch von der Führungskraft ein großes Vertrauen und einen großen Mut, denn das ist ja doch noch sehr von oben nach unten in der Denke. Wie verändert man die zuerst oder geht das auch, ohne dass die sich mitverändern?

Das geht tatsächlich nicht. In der üblichen Logik von Veränderungsprozessen hat irgendjemand oben die Idee oder die Erkenntnis „oh, da muss sich was verändern“. Dann wird gerne eine „task force“ oder eine Projektgruppe gegründet, die dafür verantwortlich ist, dass diese Transformation oder dieser Change stattfindet. Das ist so ziemlich der undankbarste Job, den man auf der Welt machen kann, weil man nämlich von beiden Seiten der Buhmann ist.
Die Belegschaft will nicht, weil sie nicht versteht oder weil sie sich irgendwie auf ein unsicheres Terrain begeben soll und auch nicht genau weiß, was von ihnen gefordert ist. Und die von oben schimpfen, weil es nicht schnell genug ausgerollt und umgesetzt ist und der Wandel nicht schnell genug stattfindet. Und die Konkurrenz aber vielleicht schneller geworden ist oder die Technik sich schneller entwickelt hat.

Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir heute transformative Führungskräfte brauchen. Die Veränderung fängt bei jeder einzelnen Führungskraft an, wenn ich einen wirklichen Wandel herbeiführen will. Ohne Führung wird es auch in Zukunft nicht gehen. Es ist nur dann ein anderes Führungsverständnis. Veränderung ist in erster Linie mal Selbstveränderung. Wenn ich das als Führungskraft nicht vorlebe, dann kann ich auch nicht von meinen Mitarbeitern erwarten, dass die sich verändern. Das ist ziemlich übergriffig.

Der Wandel kann ohne Führungskräfte, die bereit für eine persönliche Transformation sind, nicht stattfinden. Ich glaube nicht, dass das nacheinander passieren muss. Also ich muss nicht als Führungskraft zur Erleuchtung gekommen und alles perfekt beherrschen, damit ich dann andere Menschen mitnehmen kann. Aber ich kann mit gutem Beispiel vorangehen, damit andere Menschen ermutigt werden, auch einen Schritt auf unbekanntes Terrain zu gehen. Und das kann durchaus gleichzeitig stattfinden.

Ist das dann auch Teil des Coachings, wenn man so will? Werden die Führungskräfte in ihrem Denken während dieses Prozesses mitgeschult und mitgenommen?

Ja. Was man als Facilitator gerne macht und womit ich auch wahnsinnig gute Erfahrungen gemacht habe, ist die Arbeit mit einer Pilotgruppe. Eine Pilotgruppe ist ein Querschnitt des gesamten Systems, des relevanten Systems. Das heißt, ich habe da Mitarbeiter aus unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen drin. Ich habe da Mitarbeiter drin, die das Geld zur Verfügung stellen können, die von dem Wandel nachher betroffen sind, die vielleicht noch Expertenwissen reingeben können. Und mit der Gruppe fange ich an zu arbeiten, um zu erkunden, wie ich die Veränderung, die gewünschte Veränderung, die ja auch in irgendeinem Ziel oder irgendeiner Strategie niedergeschrieben ist, herbeiführen kann.

Ziele und Strategien brauche ich immer noch, damit ich weiß, wo ich hinkomme oder wo ich hinkommen möchte. Mit dieser Pilotgruppe fang ich dann an zu arbeiten und entdecke, erkunde mit denen den Weg, den man das gesamte System gehen kann. Und in der Pilotgruppe sind üblicherweise auch Führungskräfte mit drin, das heißt, die machen diese Erfahrung auch. Und dann ist es aber auch ganz essentiell, dass ich noch mal mit dem Führungsteam separat arbeite, weil ich ganz schnell an persönliche Coachingthemen kommen werde. An Fragestellungen, die zutiefst individuell sind.

Bewirkt so eine Pilotgruppe, dass innerhalb des Unternehmens gar keine Widerstände mehr auftauchen oder gibt’s da immer noch Herausforderungen/kritische Stimmen?

Hoffentlich! Die kritischen Stimmen können ja ein ganz wichtiger Baustein des gesamten Bildes sein. Und in den Pilotgruppen geht es auch häufig sehr kontrovers her, weil es vielleicht darum geht, auch gewisse Privilegien aufgeben zu müssen oder zu meinen, dass man die aufgeben muss. Und wir Menschen sind häufig und gerade wenn es unsicher wird, in so einem Impuls des Festhaltens. Das, was wir mit Geburt schon so ziemlich als erstes können, ist greifen und festhalten. Der Greifreflex, der funktioniert und wenn es irgendwie stürmisch wird – und das wird es in jedem Veränderungsprozess – neigen wir dazu, festzuhalten an dem, was wir dahaben.

Das passiert auch in der Pilotgruppe. Aber das ist gut, denn in der Pilotgruppe kann ich gucken, wo kommt das her, was ist das, was steckt dahinter, welche tieferen Gründe liegen denn dahinter? Und wenn es in der Pilotgruppe stattfindet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das nachher im Gesamtsystem auch noch mal zeigt, sehr, sehr hoch. Und dann kann die Pilotgruppe herausfinden: Welche Widerstände erwarte ich von meinen Kolleginnen und Kollegen, was ist wahrscheinlich, was im weiteren Prozess bei denen hochkommt und wie können wir dem begegnen?

Es geht nicht darum, die mundtot zu machen oder die kritischen Stimmen möglichst abzuschaffen oder zu vermeiden. Es geht darum, die willkommen zu heißen und sich das anzugucken, was da ist. Das einfach wahrzunehmen, ohne Bewertung. Sondern jeder gibt, jeder zeigt sein Bestes. Und wenn ich schimpfe, dann ist das im Moment mein Bestes, was ich zu geben habe. Dann ist das wichtig für den Prozess.

Mitglieder dieser Pilotgruppe erleben dann aus der ersten Reihe, wie es losgeht. Tragen die ihre Erfahrungen dann positiv wie negativ auch ins Unternehmen oder zu den Kollegen, die nicht mit dabei sind?

Die sind so ein bisschen wie kleine Katalysatoren, die diesen Veränderungsprozess dann initiieren. Und sie machen eine gute Erfahrung in der Pilotgruppe. Am Ende ist das gut, was sie da erleben. Das kann mal stürmisch sein und da können auch Erfahrungen dabei sein, die nicht so angenehm sind, die aber für den Prozess sehr wertvoll sind.

Und sie erleben in dieser Pilotgruppe, wenn die gut begleitet wird, auch eine andere Form der Problemlösung. Sie kommen in einen anderen Modus der Zusammenarbeit, da findet viel Vertrauensarbeit statt. So ein Facilitator-Prinzip ist „Community-building first, decision-making second“. Wenn ich in einer guten Gemeinschaft bin, dann fällt es mir viel leichter, gute Entscheidungen zu treffen. Deswegen verwenden wir als Facilitatoren auch viel Zeit auf den Raum, in dem Menschen sich begegnen.

Als Facilitator bin ich in erster Linie dafür da, Menschen einen guten Arbeitsrahmen zu schaffen. Und das begleite ich eben mit verschiedenen Methoden und mit verschiedenen Haltungen, damit sie dann selber ihre Probleme lösen können. Ich komme nicht als externer Berater rein und sage „Ihr müsst das so und so und so machen, ich hab das mal analysiert und hier ist eure Lösung“, denn das ist das alte Paradigma, das wir nicht mehr wollen. Einer weiß, wie es geht, das System weiß, wie es geht, das kommt da nur noch nicht dran. Ich muss ihm helfen, an dieses Wissen dranzukommen.

Es sind natürlich nicht alle Mitarbeiter dabei, das liegt ja in der Natur der Sache, sonst wäre es ja keine Pilotgruppe. Entstehen dadurch Reibungspunkte?

Ja, das passiert leider auch nicht selten, dass sich die Pilotgruppe vom Rest abkoppelt. Weil die Erfahrungen gemacht haben, die das restliche System nicht gemacht hat. Da muss man gucken, wie man den Rest des Systems mitnehmen kann. Da eignen sich verschiedenste Großgruppen-Formate, in denen man das gesamte relevante System in einen Raum holt, um an bestimmten Fragestellungen zu arbeiten. Nichtsdestotrotz hat die Pilotgruppe immer noch mal einen Wissens- oder Entwicklungsvorsprung. In Unternehmen, in denen das häufiger praktiziert wird, ist das schon ein Privileg, in so einer Pilotgruppe zu sein, weil man da einfach eine gute Erfahrung macht und es auch der persönlichen Weiterentwicklung dient.

Kann man abschätzen, wie lange so ein Veränderungsprozess geht? Oder ist das immer individuell, je nach Unternehmen, je nach Problemstellung?

Es ist total individuell. Und ganz häufig ist es auch, dass der erste Impuls der Veränderung nach einer Zeit gar nicht mehr das Thema ist, sondern dass da andere Themen, die viel dringlicher sind, nach oben kommen. Ich habe ein ganz konkretes Beispiel aus dem Verlagskontext, wo es darum ging, die Meta-Daten, also die beschreibenden Daten für die Produkte, zu optimieren.

Der Auftrag war, eine Schulung durchzuführen, damit die Mitarbeiter verstehen, wie das funktioniert. In dem Prozess der Vorbereitung dieser Schulung hat sich dann aber herausgestellt, dass es gar nicht um das Handwerkszeug geht, sondern dass der Sinn nicht verstanden wurde, warum man das tun muss. Das heißt, von dem „Konzipier mal eine Schulung für uns, damit die das endlich mal verstehen, wie das geht, damit die diese Regeln anwenden“ war ein viel tieferes Problem, viel strukturelleres Problem, dass man als ausführender Mitarbeiter gar nicht wusste, wozu diese Informationen benötigt werden.

Das kann man auch in größeren Kontexten feststellen, dass das eigentliche Problem an einer ganz anderen Stelle liegt. Da geht es vielleicht im ersten Blick um Effizienz, um nicht reibungslos funktionierende Prozesse. Und wenn man anfängt, mit dem System zu arbeiten, stellt sich heraus, dass das vielleicht ein Thema der Wertschätzung ist, was darunter verborgen liegt oder eine Atmosphäre des Misstrauens, in der jeder nur sich selber schützt und dabei so beschäftigt ist, dass er eben seinen eigentlichen Job nicht gut ausführen kann.

Das sind ja kleine Stellschrauben, die dann den ganzen Ablauf blockieren. Gerade das Stichwort Wertschätzung, weil sich ja auch genau daraus viele Problemfelder auch unter Kollegen ergeben. Kommt ihr dem in diesen Pilotgruppen auf die Schliche, wenn da jetzt auch nicht alle, die es betrifft, mit teilnehmen?

Also das „menschelnde“ Thema, das kommt früher oder später immer an irgendeiner Stelle mit hoch, weil das ja unser Zusammensein total prägt. Wenn ich mit so einer Haltung auch mit einer Pilotgruppe arbeite: Jeder gibt jederzeit sein Bestes und das Wissen liegt in der Welt und Menschen wollen etwas Sinnvolles tun. Wenn das erfahrbar wird für Menschen, dann machen sie einfach eine andere Erfahrung und wenn sie wieder in ihren normalen Kontext zurückgehen, dann merken sie, dass sie das da nicht bekommen und dann entsteht so eine Unwucht.

Ein Veränderungsprozess wird immer unangenehm. Der Prozess an sich kann durchaus unangenehm sein. Wenn du das ein Mal erlebt hast, ein Mal gefühlt hast, dass du ganz sein darfst, wie du bist, auch mit einer schlechten Stimmung – dann wird die Sehnsucht danach so groß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Menschen in ihren normalen, alltäglichen Kontexten auch anders verhalten. Das ist so ein Ratschen-Effekt. Kennt ihr diese Ratschen, die gehen nur in eine Richtung, die gehen nicht zurück. Und wenn ich so eine Erfahrung gemacht habe, dass ich völlig okay bin, so wie ich bin, dann komm ich nicht mehr zurück.

Hat das auch Auswirkungen auf den privaten Kontext?

Ich hab einen ganz krassen Fall miterlebt, wo jemand aus der Pilotgruppe rausgegangen ist und sich ein paar Monate später hat scheiden lassen. Krasses Beispiel. Und das war auch nicht der einzige Grund, aber ihr ist da einfach klargeworden, in der Art und Weise, wie in der Ehe kommuniziert wird, und wie wenig Wertschätzung ihr entgegengebracht wird, das war so der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Da liegt ja auch die wahnsinnige Kraft von solchen Veränderungsprozessen. Einerseits ist es wahnsinnig beängstigend, wenn ich in so einer Übergangsphase bin, dann wird das begleitet von Unsicherheit. Ich kann mir natürlich sagen „Ich möchte da und da rauskommen“, aber ob ich da tatsächlich ankomme, das weiß ich ja nicht in dem Moment, in dem ich das Unbekannte betrete. Ich habe keine Garantie dafür. Veränderungsprozesse sind immer risikobehaftet. Und das muss man auch einfach anerkennen und den Menschen da ihre Sorge und ihre Unsicherheit zugestehen.

Das ist meine Erfahrung aus ganz persönlichen Veränderungsprozessen. Es geht immer darum, das nächstbessere, höher entwickelte Muster zu erreichen. Also es geht nicht darum, Rückschritte zu machen, sondern es geht darum, sich weiterzuentwickeln, indem ich vielleicht feststelle, dass ich neue Handlungsoptionen bekomme, dass ich eine neue Idee davon bekomme, wie Zusammenarbeit funktionieren kann. Wie Zusammenarbeit auf Augenhöhe funktionieren kann.

Du sagst ja, ab und zu muss man die große Gruppe wieder mitnehmen. Ist das Stichwort, das dahinter liegt, auch Teambuilding? Oder geht es rein nur um Information?

Du kannst das gar nicht trennen. Also Informationen, Großgruppeninterventionen sind keine Informationsveranstaltungen. Das ist eine andere Absicht. Da bin ich wieder bei diesem alten Paradigma, ich weiß was, was ich jetzt anderen mitteile. Dann bin ich vielleicht wieder auf so einer Kommunikationsschiene. Das, was aber in solchen Dialogveranstaltungen stattfindet, ist, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen und gemeinsam an einer Fragestellung arbeiten zu lassen und das hat auch immer zwischenmenschliche Auswirkungen, dass vielleicht plötzlich Menschen zusammenarbeiten, die sich nur vom Sehen in der Kantine kennen. Die arbeiten plötzlich in einer Open Space Gruppe zusammen und merken, wie viel Wissen da beim anderen ist. Die werden sich danach anders begegnen.

Das macht dann auf Dauer auch einen Unterschied. Auch auf dem Weg zur Veränderung, also ein schöner Nebeneffekt, weil du ja gerade sagtest, man weiß ja auch nicht genau, wie lange ein Veränderungsprozess dauert.

In der Tat, ein Prozess ist ein Prozess. Veränderung auch wirklich als Prozess zu verstehen, ist ein ganz essenzieller Punkt. Dass ich verstehe, dass ich nicht den Schalter umlegen kann. Ich kann nicht sagen „heute seid ihr so und morgen seid ihr bitte schön so“, sondern das sind verschiedene Schritte, die ich auf diesem Weg gehen kann. Und das wird auch jeder Mensch in seinem Tempo machen. Weil wir nämlich alle autonome Wesen sind.

Wir merken das an unseren Kindern, dem Zweijährigen kann ich noch die Zähne putzen, der Fünfjährige will das aber schon nicht mehr, weil er seine Autonomie entdeckt hat. Im Erwachsenenalter, je älter ich werde, desto autonomer werde ich, desto selbstbestimmter will ich mein Leben leben. Und im privaten Kontext stehen wir das unseren Mitmenschen zu, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen, dass sie wissen, was für sie gut ist. Und häufig im betrieblichen Kontext sprechen wir denen so viel Kompetenz ab, da geht wahnsinnig viel Wissen verloren und da ist aber so viel. Da ist so viel Kompetenz und so viel Wissen. Und mit Wissen meine ich jetzt nicht nur Fachwissen, sondern auch darüber hinaus.

Wie geht man denn mit Menschen um, die sich jetzt einfach komplett querstellen, die so gar keine Lust haben, sich zu verändern und das anzunehmen, auch wenn die ganzen Angebote da sind?

Ich würde da nach dem „Warum“ fragen. Warum ist das so? Da kann wieder ein wahnsinnig wertvoller Hinweis für den Gesamtprozess sein. Wir wollen das häufig abstellen. Wir wollen diese kritischen Stimmen reduzieren. Wir wollen nicht, dass gemeckert wird. Aber auch da, in der Autonomie, wenn die Menschen meckern, ich hatte das eben schonmal kurz gesagt, dann ist das auch gerade das Beste, was sie zur Verfügung haben oder das Beste, was sie tun können. Und wenn ich da noch mal ein Ohr hinhalte und höre, worum es geht, dann kann da einfach ein wahnsinnig wertvoller Impuls drin sein.

Ich kann keinen in eine Veränderung zwingen, das funktioniert nicht. Einfach zu akzeptieren, dass da Menschen sind, die sich vielleicht gerade zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiterentwickeln wollen, das ist okay. Das darf so sein. Die dürfen so sein. Wenn ich aber im Rest des Systems immer wieder dafür sorge, dass da gute Räume entstehen, wo Menschen sicher miteinander neue Erfahrungen machen dürfen, dann steigere ich auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Kritiker und die, die vehement dagegen sind, vielleicht doch irgendwann neugierig werden und auch Lust haben, so eine Erfahrung zu machen.

Gerade wenn da Kollegen sind, die vielleicht beim Mittagessen begeistert erzählen „Du, es war so toll, wir haben da eine Lernreise gemacht und wir sind da in dieses und jenes Unternehmen gefahren und da sind so tolle Sachen passiert und wir haben uns überlegt, dass wir diese und jene Idee bei uns mal mit reinnehmen können. Und wir hatten da einfach eine tolle Zeit“. Also je mehr Menschen da eine gute Erfahrung gemacht haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die anderen auch Lust haben, das mitzumachen. Und das ist das, was Gerald Hüther mit inspirieren, begeistern und ermutigen meint. Viel mehr kann ich nicht tun. Ich kann Menschen inspirieren, begeistern und ermutigen, neue Erfahrungen zu machen.

Und da sind wir wieder bei dem Thema Führungskräfte, auch die können ihren Mitarbeitern keine Transformation vorschreiben. Wenn die mit gutem Beispiel vorangehen und man bei denen vielleicht auch schon eine Veränderung feststellt, dann ist es auch ein zutiefst menschliches Bedürfnis, Fragen zu stellen und neugierig zu sein. Und zu gucken, „hey, guck mal, der ist ja jetzt viel entspannter, der ist ja jetzt netter geworden, was ist mit dem denn passiert? Das, was der hat, hätte ich auch gerne.“

„Wie kam der denn dahin, was ist mit dem denn passiert?“ oder „Warum sind die aus der Pilotgruppe jetzt komplett anders, was ist denn mit denen passiert?“ Und Widerstand ist okay, das darf sein und es kann auch sein, dass Menschen in einem privaten Kontext gerade in einer absoluten Veränderungsphase sind, die alle Energie und alle Kraft braucht und dass die auch einfach in einem betrieblichen Kontext jetzt gerade Stabilität brauchen, dass die das überfordern würde. Dann wäre es wieder die beste Reaktion, die sie zur Verfügung haben, dass sie da sagen „Nee, Stopp“. Das kann auch ein Selbstschutz sein „Nee, ich mach da jetzt nicht mit. Lasst mich, macht mal, ich will jetzt gerade aber nicht.“

Kann es passieren, dass die Veränderung einfach nicht schnell genug vonstattengeht, sodass dieser Effekt, den du gerade beschrieben hast „Oh das ist aber cool und das hat sich total toll angefühlt, diese Erfahrung zu machen“, verpufft? Ist das die Gefahr, die dahintersteckt?

Ich glaube, wenn man es nicht ernst genug meint, ist das eine absolute Gefahr. Wenn kein wirklicher Veränderungswille dahintersteht, bei den Entscheidungen. Dann ist die Gefahr total hoch, dass man mal so zwei, drei schöne Veranstaltungen gehabt hat, da ist es super gelaufen und da war man total freundlich zueinander. Man schafft es aber nicht, es in den beruflichen Alltag mitzunehmen.

Die Gefahr ist auf jeden Fall da. Ich kann auch jahrelange geistige Prägung nicht mit ein, zwei Veranstaltungen heilen. Das wäre wieder dieser Schaltergedanke. Wenn ich jetzt draufgedrückt habe, wenn ich jetzt ein, zwei Veranstaltungen gemacht habe, danach ist alles gut und danach ist alles besser. Das funktioniert nicht. Wenn das nur kosmetische Veranstaltungen sind, dann sind die nicht nachhaltig. Dann haben die viel Geld gekostet und es war eine gute Erfahrung, aber verändert hat es nichts.

Ist es dann nicht noch viel schlimmer? Denn ich habe ja sozusagen schonmal den Blick auf den Horizont eröffnet, um dann zu sagen „Nee, doch nicht, war nicht so ernst gemeint“. Ob man es dann nicht besser bleiben lässt?

Bleiben lassen kann man es einfach nicht. Ich glaube, wir stehen vor so globalen Herausforderungen, dass wir das zumindest versuchen müssen. Ich glaube, dass wir wirklich vor so riesigen Veränderungswellen stehen, dass wir neue Antworten darauf finden müssen. Wir können mit diesem Industriezeitalter-Denken die Probleme der heutigen Zeit einfach nicht mehr lösen. Das ist zu komplex, zu VUCA geworden. Und wir brauchen einfach andere, neue Herangehensweisen, wie wir diesen Fragen begegnen können. Das können ja auch andere Formen von Organisationen sein, die müssen ein anderes Betriebssystem finden. Und die müssen auf eine andere Art und Weise lernen, miteinander umzugehen und auf die Welt zu gucken.

Häufig haben wir so ein Betriebssystem in Unternehmen, das so auf das System draufguckt, mit der Haltung „Unternehmen sind ein Problem, das es zu lösen gilt“. Oder ich kann draufgucken und sagen „Oh, Unternehmen, oder mein Unternehmen, ist ein kleines Wunder, das ich entdecken kann“. Und das macht auch einen Unterschied, ob ich ständig in dem Problemlösungsmodus bin, dass ich irgendwas fixen und reparieren will oder ob ich mich frage „Wo ist denn das Potenzial? Wo sind denn die Möglichkeiten? Was haben wir Gutes und wovon wollen wir mehr?“ Das verändert die Energie, wie ich dann darauf gucke. Wenn der Fokus positiv ist, dann entsteht schon allein dadurch, dass ich den Fokus verändere, etwas anderes.

Glaubst du, dass die nachwachsenden, jüngeren Generationen sowieso schon einen anderen Blick auf die Welt haben und das auch in die Unternehmen mehr reintragen? Also auch in traditionellere Unternehmen?

Ja, wir stehen heute schon vor der Herausforderung, dass wir Arbeitnehmer haben, die jetzt in den Arbeitsmarkt kommen, für die der berufliche Aufstieg gar nicht mehr so wichtig ist. Für die ist es gar nicht mehr so wichtig, auf der Karriereleiter möglichst weit nach oben zu kommen und möglichst viel Geld zu verdienen, weil die bei ihren Eltern oft schon gesehen haben, in welche Fallen man damit läuft: in den Burnout, in die Depressionen, es geht gar nichts mehr.

Ich glaube, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jetzt da heranwachsen, haben schon in den familiären Kontexten gesehen, was das anrichten kann. Dieses „Maximierung um jeden Preis“. Und wenn wir uns auch angucken, was diese ganze Friday-for-Future-Bewegung losgetreten hat, da scheint ein anderes Bewusstsein zu sein und auch mehr Frage nach dem Sinn. „Was gibt mir das denn?“ Das ist im Betrieb heute super lästig. Da weiß man nicht, wie soll man denn mit denen jetzt umgehen. Die wollen nicht Feedback haben, die wollen nicht beurteilt werden, die wollen auch zurück Feedback geben. Die fordern eine Augenhöhe ein, wofür die Gesamtstrukturen heute noch gar nicht gemacht sind. Da kommt einfach was anderes. Man darf denen auch nicht zumuten, dass sie alle Antworten auf die Fragen haben, aber die sind vielleicht schon in einem anderen Modus unterwegs.

Zumindest vielleicht so, dass sie auch mehr auf eigene Bedürfnisse schauen. Das wäre ja eigentlich eine sehr schöne Sache, wenn sich das durchsetzen würde, also diese Achtsamkeit hin dazu, wie es der eigentliche Begriff ja meint. Auf sich selber auch achten.

Genau, und wenn ich das gut kann, wenn ich das gut regelmäßig für mich übe und praktiziere, mit mir in einem guten Kontakt zu sein, dann fällt es mir auch viel leichter, anderen Menschen auf eine wertschätzende und liebevolle Art und Weise zu begegnen. Dann kann ich sehr viel wertfreier mit meinen Kolleginnen und Kollegen umgehen. Dann kann ich auch zum Beispiel eine aufkommende Stille zulassen. Was übrigens auch eine totale Qualität in Gruppenprozessen ist: Stille willkommen zu heißen. Nicht sofort weiter zu springen, sondern mal inne zu halten.

Es gibt eine ganz tolle Theorie von Otto Scharmer, das ist ein Deutscher, der seit den 90ern glaub ich am MIT in den USA forscht und lehrt, und der hat eine Theorie entwickelt, die nennt sich „Theorie U“, weil der Verlauf einer U-Form entspricht. Da finden wir ganz viele Aspekte von Achtsamkeitspraxis wieder. Den Geist aufzumachen, Bewertungen gehen zu lassen, das Herz zu öffnen. Und dann, also das ist der Weg runter vom U, unten am Tiefpunkt des Us, da findet Stille statt. Das ist der Ort, wo die Magie passiert: in der Stille. Denn in der Stille kommt plötzlich Wissen nach oben, was ich kognitiv mir gar nicht erarbeiten kann.

Und da greift plötzlich seriöse, wissenschaftliche Forschung diesen ganzen Achtsamkeitsaspekt ganz wunderbar auf und bringt das zusammen und bringt das in eine Logik, wie Veränderung stattfinden kann. Diese Qualität von Stille, das hat auch einfach ganz viel damit zu tun, wahrzunehmen, wie ich jetzt gerade da bin. Wie starte ich gerade in ein Business-Meeting? Mal kurz inne zu halten und zu spüren, bin ich in Gedanken wirklich schon bei diesem Meeting? Oder bin ich noch dabei, ob ich den Kindern wirklich die Gummistiefel mitgegeben habe, was ist heute Abend kochen will, beim nächsten Meeting, bei der nächsten Verabredung? Oder bin ich wirklich präsent? Dann, wenn ich wirklich präsent bin, wenn ich jetzt im Hier und Jetzt bin, dann schaffe ich es auch, andere Ergebnisse zu produzieren.

Und viel für meine Selbstfürsorge zu tun. Was haben wir davon, wenn wir uns in den ersten Berufsjahren so verschleißen, dass wir mit 50 oder mit Mitte 40 nicht mehr können, weil es einfach alles zu viel war. Was habe ich davon? Dann hab ich mir viel erarbeitet, und wofür? Dass ich es dann nicht leben und genießen kann? Das Leben geht noch so viel länger als über die Berufstätigkeit hinaus. Das ist auch so viel mehr. Oder wenn ich auf der Arbeit die ganze Zeit im Überlebens- und Machermodus bin, was hab ich dann davon, wenn ich für meine Freizeit keine Kraft mehr habe? Und wenn ich aber Achtsamkeit praktiziere, dann spüre ich das viel schneller, wo die Grenze ist, wo es mir zu viel ist. Dann kann ich auch gut dafür sorgen, dass ich leistungsfähig bleibe. Auch wenn ich nichts davon halte, dass man Achtsamkeit dafür missbraucht, um noch leistungsfähiger zu sein. Ich glaube, das ist irgendwie eine Fehlinterpretation.

Ich finde das, was häufig oder was mich häufig am meisten aufreibt, ist nicht der Fakt, dass ich viel zu tun habe. Sondern das sind so zwischenmenschliche Reibereien und Missverständnisse und Misstöne oder ich denke „Warum war das jetzt so? Warum hat die jetzt so geguckt? Mag die mich nicht? Hab ich jetzt was Falsches gesagt?“ Oder auf der Arbeit, dass man so viel Zeit darauf verwendet, über Kollegen zu lästern. Ich glaube, das ist so verbreitet, dass man da viel Energie reinlegt oder schimpft, warum jemand eine blöde E-Mail geschrieben hat und was dem denn einfallen würde, so mit mir zu reden. Da geht es ja nicht mal um die Fakten und ich bin ja auf einer anderen Ebene unterwegs.

Hast du eine Achtsamkeitspraxis, die du für dich machst?

Abgesehen von einer täglichen Meditation, praktiziere ich regelmäßig achtsames Essen, das funktioniert mit lärmenden Kindern schlechter, aber man hat ja häufiger mal die Gelegenheit, in Ruhe alleine zu essen und das einfach mal wahrzunehmen, was hab ich da? Welche Farben sind denn da? Wie riecht das denn? Welche Konsistenzen sind denn da? Also das nicht als Akt der Einverleibung zu sehen, sondern das in seiner ganzen Fülle wahrzunehmen und da auch wieder Tempo rauszunehmen und da kommt auch ganz schnell eine ganz andere Form von Genuss rein.

Und ich finde, was beim Thema achtsames Essen auch ganz schnell stattfindet, dass ich mir bewusst werde, wo das herkommt, was ich da jetzt auf dem Teller hab. Und dass ist mir da noch mal ganz leicht bewusst werden kann, wie viel dafür notwendig war, dass da jetzt Salat auf meinem Teller liegt. Das brauchte erstmal einen Boden dafür, dass der Salat gut wachsen konnte, es brauchte einen Samen, dann hat es wahrscheinlich Wasser gebraucht und Licht, einen Bauern, der sich darum kümmert, und dann musste das geerntet werden und gelagert werden und transportiert werden. Ich hab es gekauft und ich hab es zubereitet, da ist ja ein wahnsinnig weiter Weg. Und das anzuerkennen und wertzuschätzen, tut mir persönlich immer total gut.

Und was dann auch noch eine tolle, regelmäßige Praxis von mir ist, kommt auch aus der Theorie U. In der Theorie U hat Otto Scharmer festgestellt, dass, um Veränderungen nachhaltig verankern zu können und voranzutreiben, ist es total wichtig, dass wir uns die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander angucken. Die Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgehen, hatten wir ja eben auch schon angesprochen, und die Art und Weise, wie Menschen in einem System sprechen, braucht einen Shift, um andere Ergebnisse zu produzieren. Also wenn ich jetzt mal wieder auf das Negative gucke und auf Konkurrenzdenken ausgerichtet bin, dann werde ich keine gemeinschaftlichen Ergebnisse produzieren können. Und da gibt es eine Praxis, die nennt sich Social Presencing Theater. Das ist eine wahnsinnig tolle Methode, um das soziale Feld sichtbar zu machen, was zwischen Menschen ist. Es sind total simple Übungen, die auch nicht viel Erklärung brauchen, und es geht aber darum, über die Stille und über die Bewegung etwas sichtbar zu machen.

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